Was ist Wahrheit?“, fragt Pilatus Jesus, als er ihn verhört. Inspiriert von einer gleichnamigen Aufführung der Johannespassion, in der die Handlung in Szene gesetzt wurde, schrieb ich das folgende Gedicht.
Wahrheit
In der Tiefe des Herzens wartest du geduldig
Bereit, dem Liebenden dich zu zeigen
Blind wird, wer dich ohne Schleier sieht
So kleidest du dich in Fleisch und Blut
Wer hört dir zu? Wer will dich lieben?
Von weitem erkennst du den Forscher,
lockst ihn durch deine Schönheit,
streust ihm Gänseblümchenzeichen auf den Weg
Wer stets nur erlegen und besitzen will
dem entziehst du dich
wie das scheue Reh ins tiefe Dickicht
Den Liebhaber aber überraschst du
und gießt Poesie wie sanften Regen
über ihm aus
„Warte, ich will dich ergreifen“, ruft der Verstand –
„Mich erkennt nur das Herz“, schreibst du hoch in die Wolken ein
Den Forscher lockst du zu einer Sternenreise
und rufst dem Zweifler zu „Glaube nur“
„Was ist Wahrheit?“ fragt dich Pilatus
– oder war es doch sein Herz?
Er sieht dich dort- aber schaut er dich?
„Wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“
Sie trifft ihn nicht
Nur das Herz vermag zu sehen und zu hören
Dort wohnt die Wahrheit
Wunderschön, Rosemarie! Das spricht direkt zu meinem Herzen – schon von der ersten Zeile an („in der Tiefe des Herzens wartest du geduldg“). Nach dem Lesen und Nachsinnen über deine Worte bleibt etwas Zartes in meinem Inneren zurück.
Das hat mich selbst überrascht. Ich wusste nicht, wie es sich entwickeln würde. Spannend, was passiert, wenn man vom Herzen her schreibt.